„Soziale Spaltung ist Sprengstoff für unsere Demokratie“

Jeder 6. Mensch in Deutschland lebt in Armut. Das belegt auch der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Gleichzeitig besitzt das reichste Zehntel über 54% des Vermögens, während die untere Hälfte der Bevölkerung nur 3% des Vermögens besitzt. „Diese soziale Spaltung ist Sprengstoff für unsere Demokratie”, fasst Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverband, den 683-seitigen Bericht zusammen.

Der Paritätische Gesamtverband bewertet den Entwurf des Siebten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung als ernüchterndes Dokument der sozialen Schieflage in Deutschland. „Der Bericht zeigt glasklar: Armut bleibt in Deutschland ein Massenphänomen, das sich zunehmend verfestigt. Gleichzeitig wird das Thema Reichtum weitgehend ausgeblendet – das ist ein fatales politisches Signal“, erklärt Joachim Rock.

Laut Bericht liegt die Armutsquote seit Jahren stabil auf viel zu hohem Niveau zwischen 14 und 18 Prozent. Besonders betroffen sind Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinder, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen. Selbst Erwerbstätigkeit schützt längst nicht zuverlässig vor Armut: Jeder sechste Job ist ein Niedriglohnjob. Hinzu kommt, dass die Reallöhne in den Krisenjahren trotz Mindestlohnerhöhungen gesunken sind.

Der Verband sieht sich dabei in seinen eigenen Analysen bestätigt: Die Befunde zeigen, dass Wohnen zu einem Schlüsselfaktor sozialer Ungleichheit geworden ist. Fast jeder achte Haushalt muss mehr als 40 Prozent seines Einkommens fürs Wohnen aufwenden. Bei Menschen in Armut ist es sogar mehr als jeder dritte Haushalt. „Ohne Erbschaften bleibt der Immobilienerwerb für junge Menschen außer Reichweite. Sozialer Aufstieg wird aussichtslos, wenn nicht einmal der Ausstieg aus Armut ermöglicht wird“, erklärt Rock. „Wir brauchen endlich ernsthafte Maßnahmen zur Umverteilung und Reduzierung von Ungleichheit“. Das reichste Zehntel der Bevölkerung verfügt über  54 Prozent des Nettovermögens, während die untere Hälfte der Bevölkerung nur 3 Prozent des Nettovermögens besitzt.

Der Bericht dokumentiere nicht nur eine extreme Vermögensungleichheit, sondern zeige auch, dass soziale Ungleichheit in ungleicher politischer Teilhabe münde und so Demokratie und Zusammenhalt gefährde. Schon jetzt schwinde gerade bei Armutsbetroffenen das Vertrauen in Institutionen. „Diese Kluft gefährdet den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie. Wer über Armut spricht, darf über Reichtum und Privilegien nicht schweigen“, mahnt Rock. „Es reicht nicht, nur Armut zu bilanzieren. Was fehlt, ist der politische Wille zu einer Umverteilung von oben nach unten. Armut ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen. Der Bericht liefert die Daten – nun ist es Aufgabe der Politik, endlich entschlossen zu handeln.“

Der Paritätische fordert deshalb die stärkere Beteiligung von Superreichen an der Finanzierung des Gemeinwesens, die solidarische Finanzierung der Sozialversicherungen durch ihren Ausbau zu einer sozialen Bürgerversicherung, eine gerechtere Erbschafts- und Einkommensteuer, eine armutsfeste Grundsicherung und massive Investitionen in sozialen Wohnungsbau, Bildung, Inklusion und Gesundheit.

Zum Entwurf des siebten Armuts- und Reichtumsberichtes

Bürgergeld im Realitätstest: Materielle Entbehrung und wachsende Armutslücke

Die Untersuchung zeigt, dass die Leistungen der Grundsicherung trotz nominaler Anpassungen seit Jahrzehnten auf einem real stagnierenden Niveau verharren. Kaufkraftbereinigt leben Bürgergeldbeziehende heute auf demselben Stand wie Mitte der 1990er Jahre.

Während die Einkommen anderer Haushalte im Durchschnitt um 30 Prozent gestiegen sind, sind Bürgergeldbeziehende vom allgemeinen Wohlstandszuwachs abgekoppelt. Auch die deutlichen Anhebungen der Jahre 2023 und 2024 (über 10 Prozent pro Jahr) wirken lediglich als Kompensation massiver Kaufkraftverluste durch die Inflation, nicht aber als strukturelle Verbesserung.

Die Kaufkraftverluste belaufen sich in der Gesamtsumme für die Jahre 2021 bis 2023 bei einem Singlehaushalt auf bis zu 1.012 Euro. Die vergangenen Anpassungen des Bürgergeldes haben diese Kaufkraftverluste nicht ausgeglichen, sondern nur teilweise kompensiert. Durch die gesetzlich bedingten Null-Runden 2025 und 2026 wird sich die soziale Lage voraussichtlich erneut verschlechtern.

Die Leistungen reichen nicht aus, um die Armutsgrenze zu überschreiten. 2023 lag der durchschnittliche Bedarf bei 907 € monatlich, während die Armutsschwelle bei 1.381 € lag – eine Lücke von 474 €. Diese „Armutslücke“ ist seit 2010 kontinuierlich gewachsen.

Zusätzlich verdeutlichen Daten zur materiellen Deprivation: Rund die Hälfte der Bürgergeldbeziehenden ist 2024 von Entbehrungen betroffen, ein Drittel sogar erheblich. Sie können grundlegende Bedarfe wie unerwartete Ausgaben, Möbel, vollwertige Ernährung oder soziale Teilhabe (z. B. Freizeitaktivitäten, gemeinsames Essen mit Bekannten) nicht decken.

So können 86,6 Prozent der Bürgergeld-Beziehenden keine unerwarteten Ausgaben finanzieren. 55,4 Prozent geben an, kaputte Möbel nicht ersetzen zu können und 32,1 Prozent geben an, nicht mit Bekannten gemeinsam essen und trinken zu können. Auch nach den Erhöhungen der Leistungen bleibt die Lebenslage prekär.

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