Im Kulturseminar in Herbstein entwarfen Erwerbslose ein Planspiel gegen Sozialabbau und soziale Kälte
Die aktuellen und geplanten Kürzungen und Einsparungen im sozialen Bereich lassen die betroffenen Menschen oft wie Spielfiguren erscheinen: da soll die Lohnfortzahlung für Krankheitstage gestrichen werden, Erwerbslosen sollen Leistungen gekürzt werden, Rentner*innen werden zum Weiterarbeiten angehalten, die Pflegestufe 1 soll entfallen, sozialen Einrichtungen bekommen keine Förderungen mehr.
Von allen Kürzungen sind insbesondere jene Menschen betroffen, die ohnehin schon am Existenzminimum leben: Erwerbslose, Menschen im Niedriglohn, Rentner*innen in der Grundsicherung.

Im Kulturseminar in Herbstein kamen vom 20. bis 23. Oktober 17 Betroffene aus ganz Hessen zusammen und entwickelten unter der Leitung von Martina Bodenmüller (Diplom-Pädagogin und Kunsttherapeutin aus Gießen) und Holger Wilmesmeier (Kunstpädagoge aus Mainz) ein Planspiel. Veranstaltet wurde das Seminar von der Katholischen Betriebsseelsorge und Katholischen Erwachsenenbildung Oberhessen im Bistum Mainz zusammen mit dem Referat Wirtschaft – Arbeit – Soziales der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und dem Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.
Dabei wurden zunächst die aktuellen und geplanten Änderungen diskutiert. Wen betreffen sie und was für Folgen sind abzusehen? Die Teilnehmenden berichteten von ihren alltäglichen Erfahrungen wie zum Beispiel von der immer komplizierter werdenden Antragstellung auf Ämtern, von miserablen Arbeitsbedingungen in Niedriglohnjobs, von der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung oder der Angst vor Sanktionen im Jobcenter. Davon ausgehend entwickelten sie eine Rallye, die von echten Menschen durchlaufen wird. Gemeinsam wurde ein Grundkonzept erarbeitet, danach wurden in Arbeitsgruppen die einzelnen Elemente entworfen: Ereigniskarten wurden konzipiert, Spielfelder kunstvoll gestaltet, Geld und Glückstaler ausgeschnitten und bemalt, ein Würfel gebaut und Steckbriefe für verschiedene Rollen entwickelt.

Mit unterschiedlicher Ausgangslage starten bis zu 8 verschiedene Figuren ins Spiel. So zum Beispiel startet Herr Ausgesorgt, Politiker und Immobilienbesitzer mit 12 Taler Startgeld, Frau Alleskönner, eine engagierte Lehrerin mit 6 Talern, die Pflegedienst-Mitarbeiterin Frau Hungerlohn mit 3 Talern und Herr Frei, obdachlos mit nur einem Taler. Im Spiel kommen sie dabei zu verschiedenen individuell gestalteten Spielfeldern, bei denen unterschiedliche Ereignisse von Aktiengewinn bis zum Gefängnisaufenthalt lauern. Oder es wird eine der 25 Ereigniskarten gezogen, bei denen das Ereignis manchmal je nach Vermögen unterschiedliche Folgen haben kann.
Das Spiel macht erfahrbar, wie es ist, wenn dadurch Reiche immer reicher, Arme immer ärmer werden. Aber es gibt auch Glückspunkte zu gewinnen, zum Beispiel wenn Vermögen aufgeteilt wird oder jemand einem anderen hilft. Und es gibt auch eine Ausstiegsmöglichkeit: die Rentner*innen-Wohngemeinschaft, das Aussteigerdorf oder das Café-Kollektiv, die die Figuren an bestimmten Punkten wählen können.

Das Spiel vermittelt einerseits die teilweise drastischen Folgen des Sozialabbaus für die Ärmsten, aber zeigt auch, wie schnell auch ein Handwerker oder eine Lehrerin „abstürzen“ kann und plötzlich mittellos ist. Eine gute soziale Absicherung ist keine „Hängematte“, sondern sie nützt allen! Die Folgen von Kürzungen und Sanktionen, aber auch von fiktiven positiven Veränderungen wie zum Beispiel die Auszahlung eines Grundeinkommens, werden
im Spiel direkt erfahrbar. Und es ist gleichzeitig ein Lernspiel geworden für soziales Handeln. Indem sich die Spieler*innen in die Rollen hineinversetzen, erleben sie direkt die positiven Wirkungen des Teilens und Helfens für sich und andere.
Zum Abschluss wurde die Rallye im Rahmen einer Präsentation am letzten Seminartag vor Presse und Gästen aufgeführt und zur Diskussion gestellt. Richard Kunkel, katholische Betriebsseelsorge Oberhessen, eröffnete mit einem Grußwort die Präsentation. Unter dem Motto „Herbst der Gegenwehr – Sozialabbau verhindern!“ veranstaltete das bundesweite Bündnis „AufRecht bestehen“ (https://www.erwerbslos.de/) eine bundesweite dezentrale Aktionswoche vom 20. bis zum 24. Oktober 2025. Mit unserer öffentlichen Präsentation des Spiels am 23.10. leisteten wir einen Beitrag dazu.
Weitere Spiel-Tage in Erwerbsloseninitiativen vor Ort werden folgen. Eine Dokumentation mit Materialien zum Nachbau wird demnächst im Internet zur Verfügung stehen unter: https://bunte-projekte.de
Wir danken Martina Bodenmüller für den Text und Martina und Thomas Herzog für die Fotos.
Mehr über unsere Kulturarbeit, über unser Ehrenamt und unser sozialpolitisches Engagement: über die Links.